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folgten darauf; doch sind auch diese fuer eine Gnade der Natur zu achten. In solchen
Stunden hatte Wilhelm seine Geliebte noch nicht ganz verloren; seine Schmerzen
waren unermuedet erneuerte Versuche, das Glueck, das ihm aus der Seele entfloh,
noch festzuhalten, die Moeglichkeit desselben in der Vorstellung wieder zu erhaschen,
seinen auf immer abgeschiedenen Freuden ein kurzes Nachleben zu verschaffen. Wie
man einen Koerper, solange die Verwesung dauert, nicht ganz tot nennen kann,
solange die Kraefte, die vergebens nach ihren alten Bestimmungen zu wirken suchen,
an der Zerstoerung der Teile, die sie sonst belebten, sich abarbeiten; nur dann, wenn
sich alles aneinander aufgerieben hat, wenn wir das Ganze in gleichgueltigen Staub
zerlegt sehen, dann entsteht das erbaermliche, leere Gefuehl des Todes in uns, nur
durch den Atem des Ewiglebenden zu erquicken.
In einem so neuen, ganzen, lieblichen Gemuete war viel zu zerreissen, zu zerstoeren,
zu ertoeten, und die schnellheilende Kraft der Jugend gab selbst der Gewalt des
Schmerzens neue Nahrung und Heftigkeit. Der Streich hatte sein ganzes Dasein an der
Wurzel getroffen. Werner, aus Not sein Vertrauter, griff voll Eifer zu Feuer und Schwert,
um einer verhassten Leidenschaft, dem Ungeheuer, ins innerste Leben zu dringen. Die
Gelegenheit war so gluecklich, das Zeugnis so bei der Hand, und wieviel Geschichten
und Erzaehlungen wusst er nicht zu nutzen. Er trieb's mit solcher Heftigkeit und
Grausamkeit Schritt vor Schritt, liess dem Freunde nicht das Labsal des mindesten
augenblicklichen Betruges, vertrat ihm jeden Schlupfwinkel, in welchen er sich vor der
Verzweiflung haette retten koennen, dass die Natur, die ihren Liebling nicht wollte
zugrunde gehen lassen, ihn mit Krankheit anfiel, um ihm von der andern Seite Luft zu
machen.
Ein lebhaftes Fieber mit seinem Gefolge, den Arzeneien, der ueberspannung und der
Mattigkeit; dabei die Bemuehungen der Familie, die Liebe der Mitgebornen, die durch
Mangel und Beduerfnisse sich erst recht fuehlbar macht, waren so viele Zerstreuungen
eines veraenderten Zustandes und eine kuemmerliche Unterhaltung. Erst als er wieder
besser wurde, das heisst, als seine Kraefte erschoepft waren, sah Wilhelm mit
Entsetzen in den qualvollen Abgrund eines duerren Elendes hinab, wie man in den
ausgebrannten, hohlen Becher eines Vulkans hinunterblickt.
Nunmehr machte er sich selbst die bittersten Vorwuerfe, dass er nach so grossem
Verlust noch einen schmerzenlosen, ruhigen, gleichgueltigen Augenblick haben
koenne. Er verachtete sein eigen Herz und sehnte sich nach dem Labsal des Jammers
und der Traenen.
Um diese wieder in sich zu erwecken, brachte er vor sein Andenken alle Szenen des
vergangenen Gluecks. Mit der groessten Lebhaftigkeit malte er sie sich aus, strebte
wieder in sie hinein, und wenn er sich zur moeglichsten Hoehe hinaufgearbeitet hatte,
wenn ihm der Sonnenschein voriger Tage wieder die Glieder zu beleben, den Busen zu
heben schien, sah er rueckwaerts auf den schrecklichen Abgrund, labte sein Auge an
der zerschmetternden Tiefe, warf sich hinunter und erzwang von der Natur die bittersten
Schmerzen. Mit so wiederholter Grausamkeit zerriss er sich selbst; denn die Jugend,
die so reich an eingehuellten Kraeften ist, weiss nicht, was sie verschleudert, wenn sie
dem Schmerz, den ein Verlust erregt, noch so viele erzwungene Leiden zugesellt, als
wollte sie dem Verlornen dadurch noch erst einen rechten Wert geben. Auch war er so
ueberzeugt, dass dieser Verlust der einzige, der erste und letzte sei, den er in seinem
Leben empfinden koenne, dass er jeden Trost verabscheute, der ihm diese Leiden als
endlich vorzustellen unternahm.
II. Buch, 2. Kapitel
Zweites Kapitel
Gewoehnt, auf diese Weise sich selbst zu quaelen, griff er nun auch das uebrige, was
ihm nach der Liebe und mit der Liebe die groessten Freuden und Hoffnungen gegeben
hatte, sein Talent als Dichter und Schauspieler, mit haemischer Kritik von allen Seiten
an. Er sah in seinen Arbeiten nichts als eine geistlose Nachahmung einiger
hergebrachten Formen, ohne innern Wert; er wollte darin nur steife Schulexerzitien
erkennen, denen es an jedem Funken von Naturell, Wahrheit und Begeisterung fehle. In
seinen Gedichten fand er nur ein monotones Silbenmass, in welchem, durch einen
armseligen Reim zusammengehalten, ganz gemeine Gedanken und Empfindungen sich
hinschleppten; und so benahm er sich auch jede Aussicht, jede Lust, die ihn von dieser
Seite noch allenfalls haette wieder aufrichten koennen.
Seinem Schauspielertalente ging es nicht besser. Er schalt sich, dass er nicht frueher
die Eitelkeit entdeckt, die allein dieser Anmassung zum Grunde gelegen. Seine Figur,
sein Gang, seine Bewegung und Deklamation mussten herhalten; er sprach sich jede
Art von Vorzug, jedes Verdienst, das ihn ueber das Gemeine emporgehoben haette,
entscheidend ab und vermehrte seine stumme Verzweiflung dadurch auf den hoechsten [ Pobierz całość w formacie PDF ]
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